Verfassungsfeindliche Parteien in Deutschland

von | 02.06.2025

Verfassungsfeindliche Parteien in Deutschland

Demokratie im Zwiespalt: Wie das Recht mit verfassungsfeindlichen, aber nicht verbotenen Parteien umgeht

Verfassungsfeindliche Parteien in Deutschland – wie weit darf oder muss ein demokratischer Rechtsstaat die politische Präsenz von Parteien dulden, deren Programmatik und Agitation gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind? Diese Frage stand im Mittelpunkt des diesjährigen Aufsatzwettbewerbs der Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft. Unter dem Titel „Verfassungsfeindlich, aber nicht verboten. (Wie) ist das Recht auf die Präsenz verfassungsfeindlicher Parteien eingestellt?“ wurden juristische Nachwuchstalente dazu eingeladen, sich mit einem der derzeit schärfsten Konfliktfelder zwischen Parteiverbotsrecht, Verfassungsschutz und Chancengleichheit im politischen Wettbewerb auseinanderzusetzen.

Die zentrale Herausforderung besteht darin, dass das Parteienprivileg des Grundgesetzes (Art. 21 GG) politischen Formationen weitreichenden Schutz vor staatlicher Diskriminierung gewährt, solange keine Verbotsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt. Dieser verfassungsrechtliche Schutz gilt auch dann, wenn eine Partei durch den Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft wird – ein Umstand, der im Lichte der jüngeren politischen Entwicklungen, etwa im Hinblick auf die Alternative für Deutschland (AfD), zunehmend brisant erscheint. Denn die verfassungsrechtlichen Hürden für ein Parteiverbot sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hoch angesetzt. In seinem Urteil zum zweiten NPD-Verbotsverfahren 2017 bekräftigte das Gericht nicht nur diese Schwelle, sondern konkretisierte auch die Anforderungen an das „darauf Ausgehen“ im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG – mit der Folge, dass verfassungsfeindliche Parteien unter Umständen auf lange Sicht politisch wirksam bleiben können, ohne einem gerichtlichen Verbot zu unterliegen.

Die preisgekrönten Beiträge analysieren diese Gemengelage auf hohem wissenschaftlichem Niveau und mit einer Vielfalt methodischer Zugänge. Dabei wurden nicht nur das Verhältnis zwischen Verfassungsschutzpraxis und Parteiverbotsrecht, sondern auch einfachgesetzliche Mechanismen – etwa im Beamtenrecht, im Vergaberecht oder bei der Besetzung öffentlicher Gremien – kritisch hinterfragt. Die Bandbreite der Themen reicht von der juristischen Bewertung des Verfassungsschutzberichts als Instrument demokratischer Selbstverteidigung über die Rolle parteinaher Stiftungen bis hin zur grundsätzlichen Frage, ob das Recht eine kohärente Antwort auf das Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsfeindlichkeit und politischer Teilhabe bieten kann – oder gar bieten sollte.

Die Preisträger

Die Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft würdigte im Mai 2025 drei herausragende Arbeiten: Der erste Preis ging an Rasmus Kumlehn (Universität Münster) für seine differenzierte Analyse der verfassungsrechtlichen Schutzmechanismen im Grenzbereich zwischen Parteiverbot und Chancengleichheit. Johannes Maurer (Universität Mainz) wurde mit dem zweiten Preis für seinen Beitrag zur Rolle des Verfassungsschutzes als zentralem Anker im einfachrechtlichen Umgang mit verfassungsfeindlichen Parteien ausgezeichnet. Den dritten Preis erhielt Simon Schlicksupp (Universität Tübingen) für seine umfassende Betrachtung der Spiegelbildlichkeit bei der Gremienbesetzung und der damit verbundenen demokratietheoretischen Implikationen.

Jurorin Prof. Dr. Gabriele Britz

Insgesamt nahmen 32 Nachwuchsjurist:innen mit 23 Beiträgen aus ganz Deutschland am Wettbewerb teil. Die eingereichten Arbeiten wurden von Prof. Dr. Gabriele Britz, Richterin des Bundesverfassungsgerichts a. D. und Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, als Jurorin begutachtet. Eine Auswahl der besten Beiträge erscheint im Mai 2025 als Band 15 der Schriftenreihe der Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft im Sieversmedien Verlag.

Schriftenreihe der SHRA – Band 15

Der Sammelband Verfassungsfeindlich, aber nicht verboten. (Wie) ist das Recht auf die Präsenz verfassungsfeindlicher Parteien eingestellt? enthält die besten Beiträge des Aufsatzwettbewerbs der Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft. Er bietet fundierte juristische Analysen zu Parteiverbotsrecht, Verfassungsschutz und Chancengleichheit im politischen Wettbewerb. Mit praxisnahen und theoretisch fundierten Perspektiven richtet sich das Werk an Jurist:innen, Politikwissenschaftler:innen und alle, die sich für die rechtlichen Grenzen demokratischer Abwehrmechanismen interessieren. Erhältlich unter der ISBN 978-3-86376-279-7 im Buchhandel oder direkt über www.elitebuch.com.

Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft

Die Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft fördert seit über einem Jahrzehnt wissenschaftlich-juristischen Nachwuchs in Hessen – insbesondere durch ihren jährlich ausgeschriebenen Aufsatzwettbewerb für Jurastudierende, Promovierende und Rechtsreferendare. Seit 2008 wird jährlich ein Thema mit hoher gesellschaftlicher Relevanz prämiert, häufig mit einem Preisgeld von 10.000 € dotiert. Die herausragenden Beiträge werden in der Schriftenreihe der Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft (SHRA) veröffentlicht, was zusätzlichen akademischen Anreiz bietet.

Zudem richtet sich die Stiftung gezielt auch an ausländische Jurist:innen, die in Deutschland eine Zusatzqualifikation anstreben. Sie unterstützt sie bei Lebenshaltungskosten und – sofern gewünscht – bei Praktika in hessischen Anwaltskanzleien.

Weitere Informationen zur Preisverleihung und zur Arbeit der Stiftung finden Sie unter: https://ra-stiftung-hessen.org/studentischer-aufsatzwettbewerb

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