Literatur als Libretto: Die Oper „Lulu“ zwischen narrativer Transformation und musikalischer Eigenlogik

von | 12.04.2022

Adaptionen opernpädagogisch zu begreifen, gewinnt in der musikwissenschaftlichen Forschung an Bedeutung. Die Frage lautet: Wie verändert sich ein Narrativ, wenn es in ein anderes Medium übertragen wird – etwa in eine Oper? Die adäquate Transformation literarischer Vorlagen berührt zentrale Themenfelder der Adaptionsforschung, Dramaturgie und Musiktheorie. Sie verlangt eine systematische Analyse der formalen, musikalischen und inhaltlichen Elemente, die eine Adaption von der Vorlage unterscheidet.

Dieses Spannungsfeld untersucht André Sievers 2021 in seiner Studie „Die dänische Lulu. Dramaturgische Mittel und Folgen einer Opernadaption“. Der Autor wendet sich der wenig bekannten dänischen Oper „Lulu“ von Friedrich Daniel Rudolph Kuhlau, uraufgeführt 1824 in Kopenhagen, zu. Im Mittelpunkt steht die Frage nach den dramaturgischen Techniken, mit denen eine literarische Vorlage – August Jacob Liebeskinds Erzähltext „Lulu oder Die Zauberflöte“ – in Musik, Libretto und szenischer Struktur umgesetzt wird.

Sievers vergleicht systematisch die narrative Vorlage mit dem Libretto, untersucht die strukturelle Wirkung der Opernumsetzung und analysiert musikalisch-dramaturgische Veränderungen. Er beleuchtet insbesondere, wie Figurenkonstellationen, Szenenabläufe und musikalische Rhythmen umgestaltet werden, um eine eigenständige Opernfassung zu ermöglichen. Die Untersuchung reicht bis zur Orchestrierung und Stimmführung und zeigt, wie eine literarische Vorlage beim Medienwechsel ihre narrative Kontur verliert, aber dramaturgisch neue Dimensionen gewinnt.

Die Arbeit verbindet Adaptionsstudien, Musikdramaturgie und Medienanalyse in einem kohärenten Forschungsrahmen. Sie liefert präzise Kriterien zur Beurteilung, welche Effekte dramatische Anpassung auf den Rezeptionswert und die narrative Identität eines Werkes hat. Zugleich verdeutlicht sie, welche Rolle (lokal-)historische, ästhetische und textuelle Transformation im Entstehungskontext einer Oper spielen.

Das Buch richtet sich an Musikwissenschaftler:innen, Theater- und Opernforschende sowie Adaptionswissenschaftler:innen, die sich mit Fragen medialer Transformation beschäftigen. Auch Lehrende und Studierende der Dramaturgie, Musiktheaterforschung und Germanistik finden darin sowohl strukturelle als auch musikdramaturgische Grundlagen für Fallanalysen und Kompositionstheorie.

Mit „Die dänische Lulu“ legt André Sievers eine präzise dramaturgische Untersuchung vor, die zeigt, wie Operadaptationen Narrative neu verhandeln – und damit einen Beitrag zur interdisziplinären Diskussion um Literaturoper, Musikgeschichte und Medienwandel bietet.