Die Diskussion um ethische Maßstäbe in einer globalisierten Welt ist geprägt von Widersprüchen. Einerseits wächst der internationale Konsens über universale Normen – etwa im Bereich der Menschenrechte, humanitären Hilfe oder nachhaltigen Entwicklung. Andererseits gerät der Anspruch auf Allgemeingültigkeit zunehmend in die Kritik. Stimmen aus der postkolonialen Theorie, der Kulturanthropologie und der politischen Philosophie weisen darauf hin, dass sich viele moralische Ordnungen aus westlichen Traditionen speisen und ihre globale Übertragung Machtverhältnisse verschleiern kann. Die Frage, ob und wie eine universelle Ethik heute möglich ist, steht damit im Zentrum eines interdisziplinären Diskurses, der erkenntnistheoretische, kulturphilosophische und politische Dimensionen miteinander verschränkt.
Kulturelle Pluralität, asymmetrische Machtverhältnisse und historische Gewaltverflechtungen lassen Zweifel daran aufkommen, ob ethische Prinzipien kulturübergreifend Geltung beanspruchen können, ohne in koloniale Muster zu verfallen. Gleichzeitig zeigt sich in internationalen Organisationen, in der Menschenrechtsarbeit oder im Kontext globaler Krisen der Wunsch nach einem verbindenden normativen Rahmen, der nicht beliebig ist. Die Spannung zwischen ethischem Universalismus und ethischem Relativismus erweist sich dabei als erkenntnistheoretisch wie praktisch folgenreich – sowohl in der theoretischen Begriffsbildung als auch in politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen.
Vor diesem Hintergrund erscheint 2015 das Buch „Probleme und Möglichkeiten einer universellen Ethik“ von Klaus Behnam Shad. Es versteht sich nicht als moralphilosophische Einführung, sondern als erkenntnistheoretisch fundierte Reflexion über die Voraussetzungen und Grenzen ethischer Begründungen im interkulturellen Kontext. Shad setzt sich kritisch mit den zentralen Konzepten universaler Ethik auseinander, ohne sich auf die Seite des Relativismus zu schlagen. Vielmehr zeigt er, dass sowohl der Anspruch auf universelle Geltung als auch seine grundsätzliche Ablehnung mit inneren Widersprüchen behaftet sind. Wenn ein Relativismus etwa für sich beansprucht, alle Geltungsansprüche abzulehnen, stellt er selbst einen solchen Anspruch auf. Universalistische Theorien wiederum geraten ins Rechtfertigungsproblem, wenn sie keine akzeptierte Grundlage über kulturelle Grenzen hinweg anbieten können.
Als Alternative entwickelt Shad ein dialogisches Modell ethischer Verständigung, das ohne metaphysische Letztbegründung auskommt. Es beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und einem bewusst prozesshaften, nicht-absoluten Ethikverständnis. Damit richtet sich sein Buch ausdrücklich an Leser:innen, die Ethik nicht als Dogmatik, sondern als offene Auseinandersetzung mit Normativität unter den Bedingungen kultureller Pluralität verstehen. Die Argumentation ist dabei konsequent systematisch aufgebaut: Von erkenntnistheoretischen Grundfragen über die Kritik gängiger Ethikformen bis hin zu einem eigenen Vorschlag, wie moralische Verständigung ohne universellen Wahrheitsanspruch dennoch Orientierung bieten kann.
„Probleme und Möglichkeiten einer universellen Ethik“ ist besonders anschlussfähig für kultur- und sozialwissenschaftliche Fächer, in denen normative Fragen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Differenz behandelt werden. Es richtet sich an Kultur‑ und Sozialanthropolog:innen, Ethiker:innen, Philosoph:innen sowie Politikwissenschaftler:innen, die sich mit Fragen der Globalisierung, Interkulturalität und moralischen Praxis befassen. Auch für Lehrveranstaltungen zur Menschenrechtsethik, interkulturellen Kommunikation oder Entwicklungsethik bietet das Werk eine theoretisch anspruchsvolle Grundlage. Studierende profitieren von der klaren Argumentationsstruktur und der kritischen Perspektive auf geläufige moralische Denkmuster.
Das Buch ist im Optimus Verlag erschienen. Es bietet keine fertigen Lösungen, sondern einen gut begründeten Beitrag zur Frage, wie ethische Orientierung unter pluralen Bedingungen möglich bleibt – ohne autoritären Geltungsanspruch und ohne Rückzug ins Beliebige.
