Aufsatzwettbewerb der Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft regt zur Debatte über Sprache im Recht an

von | 14.06.2023

Frankfurt am Main, 31. Mai 2023 – In feierlichem Rahmen verlieh die Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft ihren diesjährigen Preis im studentischen Aufsatzwettbewerb. Das Thema lautete: „Englisch, Gender-Deutsch oder Maschinen-Code – brauchen wir eine neue Rechtssprache?“ und griff damit eine der derzeit kontroversesten Diskussionen an der Schnittstelle von Sprache, Recht und Gesellschaft auf. Die Preisverleihung fand in der Villa Bonn im Frankfurter Westend statt, begleitet von Grußworten der Staatssekretärin im Hessischen Justizministerium, Tanja Eichner, sowie einer Laudatio von Prof. Dr. Matthias Friehe (EBS Universität für Wirtschaft und Recht), der zugleich als Juror des Wettbewerbs fungierte.

Mit dem ersten Preis wurde Dr. Martin Meier ausgezeichnet. Den zweiten Preis erhielt Valeria Werner. Drittplatzierungen gingen an Karl Riesenhuber, an das Autorenduo Lea Schirmer und Max Müller sowie an Dr. Katharina Weidl. Einen Sonderpreis für eine juristische Glosse erhielt Johannes Forck. Die prämierten Beiträge sind in Band 13 der Schriftenreihe der Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft unter dem gleichnamigen Titel veröffentlicht worden.

Im Mittelpunkt der diesjährigen Ausschreibung stand die Frage nach der Zukunft und Funktion der deutschen Rechtssprache in einem zunehmend komplexen, pluralen und digitalen Umfeld. Die Beiträge der Preisträger:innen zeigen eindrucksvoll, wie vielfältig die sprachliche Dimension des Rechts diskutiert werden kann – sei es im Hinblick auf die Verständlichkeit juristischer Texte, die Verwendung geschlechtergerechter Sprache, den Einfluss der englischen Sprache auf juristische Terminologie oder die denkbare Übersetzung normativer Inhalte in maschinenlesbare Formen wie Programmiersprachen.

Die Rechtssprache – traditionell geprägt durch Fachterminologie, formale Strenge und juristische Abstraktion – steht unter Druck, sich neuen Anforderungen zu öffnen: der inklusiven Ansprache aller Geschlechter, der internationalen Anschlussfähigkeit und der digitalen Transformation durch Künstliche Intelligenz, Algorithmen und automatisierte Entscheidungslogik. Der Wettbewerb rückte diese Herausforderungen in den Fokus und bot Nachwuchsjurist:innen eine Plattform zur Reflexion und kritischen Auseinandersetzung.

Besondere Aufmerksamkeit galt dabei dem Spannungsfeld zwischen Fachsprache und Allgemeinverständlichkeit. Während die einen in der juristischen Fachsprache eine notwendige Präzision sehen, argumentieren andere, dass mangelnde Verständlichkeit den Zugang zum Recht erschwert und damit demokratische Grundprinzipien gefährdet. Auch die zunehmende Verwendung von Anglizismen und die Tendenz zur Internationalisierung des Rechts stellen die Zukunft des Deutschen als Rechtssprache in Frage.

Ein weiteres zentrales Thema war die Debatte um Gendersprache im Recht. Die Beiträge beleuchten sowohl historische Entwicklungen als auch linguistische, rechtspolitische und normative Argumente. Dabei wurde deutlich, dass Sprache nie neutral ist – insbesondere dann nicht, wenn sie normativen Charakter hat. Die Frage, ob eine geschlechtergerechte Sprache in Gesetzestexten eingeführt werden sollte, wurde differenziert und kontrovers diskutiert.

Auch die technische Dimension der Rechtssprache fand Eingang in den Wettbewerb: Die zunehmende Relevanz maschinenlesbarer Strukturen, etwa durch Smart Contracts oder den Einsatz von KI in der Rechtsanwendung, wirft die Frage auf, ob juristische Kommunikation künftig auch in algorithmischer Form gedacht werden muss. Der Beitrag des Erstplatzierten analysierte am Beispiel von Solidity-Code in der Blockchain-Anwendung, welche Chancen, aber auch Risiken sich aus der Übersetzung rechtlicher Inhalte in Programmiersprachen ergeben.

Mit über vierzig Einsendungen aus dem gesamten Bundesgebiet war das Interesse am diesjährigen Wettbewerb hoch. Die ausgezeichneten Beiträge zeichnen sich durch wissenschaftliche Qualität, Originalität und interdisziplinäre Herangehensweise aus – Kriterien, die Juror Prof. Friehe in einem mehrstufigen Auswahlverfahren zur Bewertung heranzog. Die Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft verfolgt mit dem Wettbewerb das Ziel, rechtspolitisch aktuelle Fragestellungen aufzugreifen und den juristischen Nachwuchs zur kritischen Auseinandersetzung mit grundlegenden Themen des Rechts anzuregen.

Der Wettbewerb unterstreicht, dass Sprache im Recht nicht nur Mittel der Kommunikation, sondern auch Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse, Inklusion oder Ausgrenzung und letztlich eine Voraussetzung für Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit ist. Die Frage nach einer „neuen“ Rechtssprache ist dabei nicht allein eine linguistische, sondern eine politisch, ethisch und technologisch aufgeladene Debatte, die weitergeführt werden muss – in Wissenschaft, Praxis und Gesellschaft.

Das Buch „Englisch, Gender-Deutsch oder Maschinen-Code – brauchen wir eine neue Rechtssprache?“ ist als Band 13 der Schriftenreihe der Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft im Sieversmedien Verlag erschienen und unter der ISBN 978-3-86376-274-2 im Buchhandel oder direkt über elitebuch.com erhältlich.

Die Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft wurde mit dem Ziel gegründet, rechtswissenschaftliche Bildung und Forschung zu fördern sowie den juristischen Nachwuchs in seiner fachlichen und gesellschaftlichen Entwicklung zu unterstützen. Mit ihrem jährlich stattfindenden Aufsatzwettbewerb greift sie aktuelle rechtspolitische Themen auf und schafft ein Forum für engagierte junge Juristinnen und Juristen, sich frühzeitig mit zentralen Fragen des Rechts auseinanderzusetzen. Weitere Informationen zur Preisverleihung 2023 und zur Arbeit der Stiftung finden Sie unter: www.ra-stiftung-hessen.org/preisverleihung-2023.